Im Durchschnitt besteht unser Leben aus 27.000 Tagen. Das sind 650.000 Stunden, in denen die Zeit zerrinnt; in denen wir hetzen und eilen, um alles möglichst schnell zu erledigen – denn Zeit ist Geld. Zeit wird zum Gut, welches gemessen, gezählt, gespart und bewertet wird, sowohl geschäftlich als auch privat.
Produktivität prägt uns und begleitet unsere Handlungen. Freizeit im Sinne von frei sein vom externen Zeitgefühl erleben wir selten und nicht wenige sind ohne Handy oder Uhr äußerst unsicher, weil ihnen ein wichtiger externer Orientierungspunkt fehlt. Solche Orientierungspunkte sind aber wichtig, da wir durch sie unsere subjektive Zeit – die Eigenzeit – mit der externen Zeit synchronisieren.
Während des Großteils der Menschheitsgeschichte war Zeit überwiegend subjektiv geprägt. Menschen orientierten sich zwar an Sternen, dem Mond und den Jahreszeiten, waren durch diese großen Messebenen aber sich selbst überlassen, wenn es um einzelne Stunden, Minuten und Sekunden ging. Zeit als Phänomen bleibt weiterhin subjektiv und wird von Philosophen, etwa von Rüdiger Safranski, dahingehend untersucht. Nicht als klares Konstrukt mit Taktung, das auf hundertstel Millisekunden genau ist, sondern als Erlebnis, das uns Glück oder Unglück bringen, erfüllen oder stressen kann; je nachdem, wie wir selbst über unsere Zeit verfügen können. Und genau ab diesem Punkt wird Zeit zu einem Thema des Frugalismus.
Der Ursprung von “Zeit ist Geld”
Zeit erinnert und an die eigene Sterblichkeit und viele Milliarden fließen in die Altersforschung, um den scheinbar unaufhaltbaren Prozess zumindest zu verlangsamen. Alle beschäftigt das eigene Ableben und ein Großteil der Deutschen hat Angst vor dem Sterben. Eine Angst, die sich größtenteils nicht auf den Tod an sich bezieht, sondern vielmehr auf ein Leben, in dem sich nicht genug Zeit für die eigenen Belange, Wünsche und Träume genommen wurde. Doch eben jene Zeit ist nicht einfach verschwunden, sondern wurde verkauft und somit von subjektiver zu objektiver Zeit.
Wie aber kommt es dazu, dass unsere Eigenzeit nicht selten mit der objektiven Außenzeit kollidiert?
Der Großteil dieses Konfliktes rührt aus der Zeit des Industrialismus. Noch vor zweihundert Jahren hatte jede Stadt ihre eigene Zeitzone. Ohne Automobile fiel dies zunächst kaum ins Gewicht, da man sich sehr langsam von Stadt zu Stadt bewegte, doch durch die Entwicklung des Verkehrs entstanden erste Probleme. Wer mit dem Zug reiste, musste an jeder Station Minuten hinzuzählen oder abziehen. Das war auf lange Strecken höchst kompliziert und führte selbst innerhalb der Verkehrsunternehmen zu Verwirrung und letztendlich zu Unfällen, die der Bevölkerung große Angst vor der neuen Art zu reisen einflößten. Verkehrsunternehmen kamen in Zugzwang und sorgten deshalb dafür, dass innerhalb der Länder einheitliche Messungen eingeführt und feste Uhrzeiten zur Norm wurden. Dies mündete schließlich darin, dass 1912 die weltweite Universalzeit über den Eiffelturm ausgesendet wurde. Damit lebte die gesamte Menschheit zum ersten Mal im gleichen Takt. Ein Takt, der zunächst das Berufsleben und dann zunehmend auch das Privatleben einnahm und Menschen dazu zwang, ihre Zeit zu kontrollieren.
Zeit hat immer einen Geldwert und dieser kommt zuerst von außen, weil Unternehmen mit ihr rechnen müssen. Wir verinnerlichen diesen Handel und wenden ihn dann auch auf unser Privatleben an. Die Folgen sind ein schlechtes Gewissen gegenüber vielem, was wir tun. Wir fühlen uns nicht wohl in unserer eigenen Haut, wenn wir verschwenden, wovon uns immer weniger bleibt. Wir geraten unter Druck und lassen uns von uns selbst, aber auch von denen kontrollieren, die unsere Zeit entgelten und ihr somit einen vermeintlich höheren Wert geben. Wer mehr Macht respektive mehr Geld hat, kann die Zeit anderer kontrollieren. Er kann vorschreiben, wie die Zeit zu nutzen ist. Und da das übergeordnete Ziel von Unternehmen ist, so viel Geld wie möglich zu verdienen, wollen sie das meiste aus ihrem Geld herausholen. Infolgedessen soll die Effizienz der Arbeit gesteigert werden. Druck entsteht, der schlussendlich auf den Arbeitnehmer zurückfällt und ein angespanntes, dysfunktionales, streng hierarchisches, soziales Umfeld am Arbeitsplatz schaffen kann.
Auch wenn der Westen hiervon verhältnismäßig wenig betroffen ist und die Zeit der stereotypischen Fließbandarbeit vorbei ist, prägen dieselben Prinzipien den Arbeitsalltag. Selbst in Industrienationen kommt es vereinzelt zu gemessenen und begrenzten Toilettenpausen, die vom Lohn abgezogen werden. Arbeitsvorgänge werden in dreißigstel Sekunden eingeteilt und jede einzelne Bewegung optimiert. Die Serviceindustrie verwirklicht dieses Prinzip auch in Bezug auf ihre Kunden. Schnellrestaurants sind das beste Beispiel hierfür.
Was ist (D)ein Leben wert?
Geld steht in engem Zusammenhang mit Zeit, denn es quantifiziert unser Leben und unseren Wert für andere. Umgekehrt lässt es einen großen Teil unserer Zeit minderwertig und nutzlos erscheinen. Wir verinnerlichen die wirtschaftliche Art zu denken und werten damit unsere Handlungen und auch uns selbst ab. Hinzu kommt der Druck von außen. Wenn Frugalisten sich herausnehmen nur vier Stunden am Tag zu arbeiten, hagelt es oftmals Protest und Vorwürfe. Dabei handelt es sich um die eigene Lebenszeit und wer es sich leisten kann, weniger zu arbeiten, möchte lediglich mehr Mitspracherecht über sein eigenes Leben haben. Frugalisten wollen verhindern, dass Wertungen aus der Wirtschaft aufs Privatleben übergreifen und dort die Lebensqualität senken.
Arbeit wird zum Problem, wenn sie Freizeit und Schlaf unterwandert und die Nacht zum Tag gemacht wird. Die extremen Folgen eines solchen Szenarios lassen sich in der japanischen Arbeitswelt bestaunen, wo Überstunden die Norm sind und es mit „Karoshi“ einen eigenen Begriff für den Tod durch Überarbeitung gibt.
Ruhe, Erholung und Entspannung sind zum Luxus geworden. Ein Luxus, der eigentlich notwendig ist, damit wir physisch, psychologisch und sozial funktionieren. Sogar aus biologischer Perspektive ist es unerlässlich, dass wir einen Großteil unserer Zeit entspannt sind und einen ruhigen und langen Schlaf genießen. Unsere Eigenzeit ist in den Rhythmus der Natur eingebettet und wir sind darauf angewiesen, dass sich unser Körper regenerieren kann.
Nicht nur Zeit an sich, sondern auch unsere Aufmerksamkeit ist zur Währung geworden. Werbefirmen bezahlen Social Media Unternehmen dafür, wie lange der potentielle Kunde sich einen Spot ansieht. Deshalb ist es das oberste Ziel der Hersteller von Apps und Webservices, die Verweildauer zu maximieren. Um dies zu bewerkstelligen werden Nutzer absichtlich süchtig gemacht, indem Benachrichtigungen, Formen, Farben und Haptik der Dienstleistungen Dopaminausschüttung auslösen. Die neuen Medien werden deshalb häufig kritisiert und ein großer Teil derer, die bei der Entwicklung der Mechanismen mitgeholfen haben, distanzieren sich mittlerweile von ihrer Schöpfung und warnen Nutzer.
Je mehr Social Media Services wie Facebook und Instagram sowie Apps wie Candy Crush genutzt werden, desto stärker wird die Ressource Aufmerksamkeit erschöpft und desto weniger kann Zeit in vollem Umfang genossen werden. Je mehr Zeit in dieser Form verbracht wird, desto mehr Produkte werden zudem gekauft. Die Services an sich sind zwar kostenlos, jedoch indirekt durch Kundendaten und Aufmerksamkeit monetarisiert. Auch wenn wir uns selbst nicht als Betroffene sehen, sprechen die Zahlen für sich, denn Facebook und Google gehören dank eben jenen Verkäufen von Werbekunden zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt.
Frugalismus für Anfänger
Frugalisten haben das Ziel, viel qualitative freie Zeit genießen zu können und möglichst unabhängig von externen Umständen und Stimuli zu sein. Zu den frugalistischen Methoden zählt deshalb manchmal auch der Verzicht auf Social Media und die Behandlung der eigenen Smartphone-Sucht.
Um Freizeit von ihrer wirtschaftlichen Dimension abzuspalten, kann es paradoxerweise helfen, konsequent durchzurechnen, wie viel die eigene Zeit wirtschaftlich wert ist. Dabei helfen kann der „Value of Time Calculator“ von der Seite „clearerthinking.org“.
So können Kaufentscheidungen in Zeit und nicht in Geld gemessen werden. Daraus resultieren in der Regel bessere Entscheidungen und der Fokus wird umgekehrt. Anstatt Zeit für Geld herzugeben, wird Geld für Zeit eingesetzt.
Ein anschauliches Beispiel ist die Anschaffung eines Saugroboters: Aus konventioneller Sicht kann ein solches Gerät durchaus teuer sein und sich die Anschaffung daher nicht lohnen. Aus der Sicht eines Frugalisten ist der einmalige Einsatz von z. B. 200 € ein gutes Geschäft, wenn somit jede Woche eine halbe Stunde mehr Zeit zur Verfügung steht. Gehen wir z. B. davon aus, dass der Value of Time Calculator einen Zeitwert von 20 € pro Stunde angibt. Dann werden zehn Stunden gegen viele hundert Stunden getauscht. Nach fünf Wochen ist der Saugroboter bereits zeittechnisch amortisiert und nach einem Jahr, wurden über 100 freie Stunden erwirtschaftet.
Ähnlich verhält es sich mit Verkehrsmitteln. Wer in der Stadt wohnt, der zieht öffentliche Verkehrsmittel eventuell dem Auto vor. Denn in ihnen kann er seine Zeit umfangreicher verwenden, indem er z. B. einen Teil seiner Arbeit dort vorbereitet oder sich Büchern und Filmen widmet. Anders verhält es sich wiederum, wenn unsere Beispielperson auf dem Land lebt oder die Strecke mit dem Auto im Bruchteil der Zeit zurückgelegt werden kann. Eventuell rechnet sich so sogar der Kauf des Autos inklusive Kfz-Versicherung und Treibstoff. Die Anschaffung eines Autos gehört finanziell zu den wichtigsten Entscheidungen von Normalverdienern, deshalb wird in Kapitel 24 noch einmal separat auf sie eingegangen.
Vorerst geht es darum festzuhalten, wie wichtig es ist, nicht nur in Geld, sondern auch in Zeit zu rechnen. Dadurch kehren Frugalisten nicht zuletzt auch ihren persönlichen Bezug zu Reichtum um. Ein Mindset des Mangels wird durch die Bewusstmachung eigener Ressourcen unterbunden, ebenso wie Käufe, die es nicht wert sind, einen kleinen Teil des eigenen Lebens dafür herzugeben. Hinter dem Bedürfnis nach weniger Arbeit steckt oft auch das Bedürfnis nach mehr Zeit. Es ist also wichtig zu wissen, wie man Zeit nicht nur wirtschaftlich optimal, sondern auch als qualitativer, erfüllender und länger wahrnehmen kann. Es ist wichtig zu erkennen, wann man direkt (und viel wichtiger auch indirekt) Zeit gegen Geld tauscht.
Nicht umsonst ist “Carpe Diem” ein beliebter Spruch. Innerhalb der letzten zwei Jahrhunderte hat sich durch den Wandel der Arbeitswelt ein kleiner Fehler eingeschlichen, der sinnbildlich für unseren Umgang mit Zeit steht. Oft als „Nutze den Tag“ übersetzt, heißt es eigentlich “Pflücke den Tag”. Der Tag wurde früher als Frucht versinnbildlicht. In dem Sinne müssen wir uns heute darum kümmern, den eigenen Baum des Lebens zu hegen und zu pflegen. Frugalismus kann uns dabei helfen ein guter Gärtner des freien Lebens zu werden.
PS: Jetzt geht es erst los!
Herzlichen Glückwunsch, Du hast grade 1 % des brandneuen Buches “Frugalismus – Raus aus der Sklaverei” durchgelesen. Kümmere dich jetzt um die verbleibenden 99 % und lerne wie du dein eigenes Leben freikaufst und dafür sorgst, dass deine Zeit wieder dir gehört!
Hier kommst Du direkt zum Buch 🙂