Die EU-Kommission brachte im Mai 2022 einen Vorschlag für eine Regulation laying down rules to prevent and combat child sexual abuse ein (häufig CSAR oder CSA-Regulation genannt). Ziel ist, Online-Dienste stärker in die Pflicht zu nehmen, um Kinder im digitalen Raum zu schützen.
Kernbestandteil der Debatte ist, dass selbst private Kommunikation – also Chats, Nachrichten, Mediendateien – auf Hinweise von sexuellem Missbrauch (CSAM: Child Sexual Abuse Material) untersucht werden soll, auch wenn sie Ende-zu-Ende verschlüsselt ist. Damit würde ein Mechanismus namens Client‑Side Scanning zur Anwendung kommen: Das heißt, die Inhalte werden auf dem Gerät des Nutzers geprüft, bevor sie verschlüsselt und versandt werden.
Darüber hinaus soll im Rahmen der Verordnung ein neues EU‑Zentrum eingerichtet werden („EU Centre to prevent and counter child sexual abuse“), das Datenbanken mit Indikatoren von Missbrauchsmaterial verwaltet und als Koordinationsstelle fungiert. Anbieter von Kommunikationsdiensten sollen verpflichtet werden, diese Indikatoren zur Detektion zu nutzen. Zusätzlich wird vorgesehen, dass bei gerichtlichen oder behördlichen Anordnungen (so genannte „detection orders“) Anbieter zur Implementierung von Erkennungstechnologien verpflichtet werden.
Der Vorschlag sieht ferner vor, dass der Anbieter – wenn er Hinweise auf Missbrauchsmaterial erkennt – Meldungen an Strafverfolgungsbehörden weiterleiten muss, Inhalte zu sperren oder zu entfernen sind, und dass Anbieter Risikobewertungen ihres Dienstes vornehmen müssen. Manche Ausprägungen des Vorschlags wollen, dass auch „Grooming“ (also Kontakt mit Minderjährigen über Kommunikation mit sexuellem Hintergrund, z. B. Anbahnung sexuellen Übergriffs) mit erfasst wird.
Wichtig: Die Verordnung würde als Lex specialis zum Digital Services Act (DSA) gelten – das heißt, sie ergänzt und konkretisiert bestimmte Bestimmungen zur Verantwortung von Plattformen im Hinblick auf sexuellen Missbrauch.
Diese technische Ausgestaltung – insbesondere die Pflicht, private, verschlüsselte Kommunikation zu durchsuchen – ist der Hauptknackpunkt in der Debatte. Kritiker warnen, dass dadurch die Sicherheit von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung untergraben wird.
Der Stand der Dinge: Wo stehen wir heute?
Nachdem der Vorschlag seit 2022 im Raum steht, hat sich das Gesetzgebungsverfahren in Brüssel und in den Mitgliedstaaten zum Kräftemessen zwischen Datenschutz, Bürgerrechten und Kinderschutz entwickelt.
Im Europäischen Parlament gibt es starke Vorbehalte gegen eine pauschale Überwachung privater Kommunikation. So haben Ausschüsse des Parlaments in Stellungnahmen immer wieder betont, dass eine Verpflichtung zu generellem Scanning nicht akzeptabel ist, und dass Verschlüsselung geschützt bleiben muss. Insbesondere das Parlament bekennt sich in einigen Formulierungen dazu, dass eine „blanket monitoring“ privater Kommunikation abzulehnen ist.
Im Herbst 2025 kamen erneut Bewegung und Druck ins Spiel: Der dänische EU-Ratsvorsitz (Council) hat eine Kompromisslinie vorgeschlagen, um das Vorhaben wieder voranzutreiben. Ein entscheidender Schritt sollte eine Abstimmung im Rat im Oktober 2025 sein. Mitgliedsstaaten müssen bis 12. September 2025 ihre Position innerhab des Rates finalisieren. Nach dem Ratsbeschluss (sofern er kommt) würden sogenannte Triloge (Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission) starten.
Bislang haben bereits mehrere Mitgliedstaaten ihre Unterstützung signalisiert (etwa Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn) Einige Staaten sind jedoch noch unentschieden oder sogar ablehnend (z. B. Deutschland zuletzt – zumindest offiziell) Deutschland hat öffentlich erklärt, dass eine pauschale Überwachung privater Nachrichten verfassungswidrig sei und man zumindest bei dieser Version nicht zustimmen werde. Ob diese Haltung gehalten wird, ist Teil der aktuellen politischen Auseinandersetzung.
Parallel dazu gibt es Gegenbewegungen: Kampagnen wie „Fight Chat Control“ mobilisieren Bürger, Petitionen (z. B. von Mozilla) warnen vor den Folgen für Verschlüsselung und Datenschutz. Kryptograf:innen und Fachleute warnen in offener Stellungnahme vor technischer Unsicherheit, hohen Fehlerquoten (falsch-positive Erkennungen) und gesellschaftlicher Überwachung.
Im Kurzzeitfokus steht die Ratsabstimmung (voraussichtlich 14. Oktober 2025) als potenzieller Wendepunkt. Sollten die Mitgliedstaaten einem solchen Entwurf zustimmen, beginnt der letzte, kritische Phase des Gesetzgebungsprozesses.
Ob und in welcher Form das Vorhaben letztlich Gesetz wird, hängt stark von den Verhandlungen ab und davon, ob Kompromisse etwa beim Umfang der Überwachung, bei Datenschutzgarantien oder bei Ausnahmeregelungen gelingen.
Auswirkungen auf uns als Bürger – was droht zu passieren?
Wenn eine Variante der Chat‑Control-Verordnung in Kraft tritt, ergeben sich weitreichende Konsequenzen – für Privatpersonen, für die Technologiebranche und für die digitale Grundrechtearchitektur.
1. Eingriff in Privatsphäre und Verschlüsselung
Der größte Einschnitt liegt darin, dass private Kommunikation (Chats, Nachrichten, Mediendateien) auf dem Endgerät gescannt würde – noch bevor sie verschlüsselt wird. So würde das Prinzip gelten: Der Nutzer selbst wird zum Prüfpunkt. Das untergräbt den Schutz, den Ende-zu-Ende-Verschlüsselung heute bietet, weil ein Teil der Kommunikation in unverschlüsseltem Zustand analysiert wird. Kritiker sagen, das sei technisch inkohärent mit dem Ziel, sichere Kommunikation zu gewährleisten.
Zudem besteht das Risiko von sogenannten False Positives – also dass harmlose Inhalte fälschlicherweise als Missbrauchsmaterial erkannt und gemeldet werden. Solche Fehlalarme könnten Nutzer stigmatisieren oder Rechtfertigungen für weitergehende Eingriffe liefern. Ebenso droht der sogenannte „Function Creep“: Einmal installiertes System zur Überwachung könnte später erweitert werden, um nichtsexuelle Inhalte oder politische Kommunikation zu kontrollieren.
2. Schwächung der Gerätesicherheit und Angriffsflächen
Weil der Code, der das Scanning durchführt, in der App/Client‑Software laufen müsste, entsteht ein Angriffsvektor: Sicherheitslücken in dieser Komponente könnten von böswilligen Akteuren ausgenutzt werden (etwa Hacker, Geheimdienste). Dadurch könnte die Gesamtsicherheit von Endgerät und Kommunikation sinken. Es ist nicht ausgeschlossen, dass andere Regierungen oder Dienste Zugriff auf die Mechanismen verlangen könnten – ein Grund, weshalb viele Datenschutzorganisationen davor warnen.
3. Vertrauensverlust gegenüber Plattformen
Wenn Nutzer wissen (oder vermuten), dass ihre Chats gescannt werden, könnte das Vertrauen in Messaging-Dienste erheblich sinken. Viele würden auf alternative Anbieter umsteigen, die – sofern möglich – der Überwachung entgehen. Manche Dienste könnten sich aus dem EU‑Markt zurückziehen, wenn die Anforderungen technisch oder rechtlich nicht tragbar sind. Das würde gerade auch kleinere Anbieter treffen, die weniger Ressourcen haben, solche Systeme zu implementieren.
4. Rechtsunsicherheit und Überforderung der Justiz
Mit der Flut von automatisch generierten Meldungen (insbesondere bei falsch positiven Erkennungen) steigt der Aufwand für Justiz und Strafverfolgung, solche Hinweise zu prüfen. Es ist fraglich, ob Behörden diese Masse bewältigen können. Zudem ist nicht klar, wie der Rechtsrahmen gestaltet werden würde – etwa wer haftet bei Fehlern oder falschen Verdächtigungen, wie Betroffene sich wehren könnten, und wie die gerichtliche Kontrolle der Maßnahmen aussehen würde. Kritiker sehen in diesen Unklarheiten ein grundsätzliches Problem mit dieser Art Regelung.
5. Signalwirkung für Innovation und Dezentralisierung
Für Technologien, die auf Dezentralisierung, Peer‑to‑Peer-Kommunikation oder Zero‑Knowledge-Prinzipien setzen, kann so eine Verordnung eine erhebliche Hürde sein. Wenn die Vorgabe lautet, jeden Client zu kontrollieren, könnte das dezentralisierte Konzepte schwächen oder unmöglich machen. In der Krypto-Community wird befürchtet, dass Schwächen in der Kommunikationssicherheit sich auch auf Wallets, Schlüsselverwaltung und Blockchain-bezogene Dienste auswirken könnten.
Dezentrale und datenschutzfreundliche Messenger-Alternativen: Wie kann man sich schützen?
Wer auf Privatsphäre und sichere Kommunikation Wert legt, sollte vorausschauend handeln. Hier sind Ansätze und Dienste, die heute schon möglich sind oder derzeit verstärkt empfohlen werden:
Signal, Element (Matrix), Session & Co.
Signal gilt heute als Goldstandard für Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Die Open-Source-Architektur erlaubt, dass kein zentraler Dienstanbieter Zugriff auf Nachrichteninhalte hat. Sollte aber eine zukünftige Verordnung wie Chat‑Control gelten, könnte der Signal-Client verpflichtet werden, Scanning-Komponenten zu integrieren – was wiederum das Vertrauen in die Plattform beeinträchtigen würde.
Element (Matrix) arbeitet mit einem föderierten oder dezentralen Ansatz: Nutzer wählen Server (Homeserver), über die sie kommunizieren. Der Vorteil: Kontrolle liegt stärker beim Nutzer bzw. Betreiber des Servers. Und da viele Elemente Open Source sind, sind Eingriffe leichter auditierbar.
Session (ehemals Loki Messenger) setzt auf Verbindungsrouten über Netzwerk-Knoten (Onion Routing), um Metadaten zu verschleiern. Da Session keine zentralen Server verwendet, ist die Kontrolle schwieriger durchsetzbar.
Peer-to-Peer-Kommunikation und off-line Protokolle
Protokolle wie Briar (für Android) bieten direkte, dezentrale Kommunikation über Bluetooth, WLAN oder Tor-Netz – ganz ohne zentrale Server. Sie sind robust gegen Abschaltungen und schwerer zu überwachen.
Andere Ansätze nutzen P2P-Formen, bei denen sich Nutzer direkt (ohne zentralen Server) verbinden. Solche Systeme sind grundsätzlich resistenter gegen zentrale Regulierungsversuche, sofern sie Open Source und auditierbar sind.
Selbstgehostete und Open-Source-Lösungen
Wer technisch versiert ist, kann eigene Instanzen von Messenger-Servern aufsetzen (z. B. Matrix-Server) und Clients soweit möglich modifizieren, um jegliche potenzielle Scanning-Funktion zu entfernen oder zu kontrollieren (vielleicht durch Forks). Damit liegt die Verantwortung vollständig beim Nutzer – allerdings mit Aufwand und Risiko, wenn Sicherheitslücken existieren.
Anpassung bestehender Dienste & Hybridmodelle
Ein denkbarer Weg ist, dass Dienste Ausnahmen für starke Verschlüsselung oder „sichere Kanäle“ definieren – also Teilbereiche ohne Scanning. Allerdings könnte eine restriktive Verordnung solche Ausnahmen verbieten.
Andere vorgeschlagene technische Ansätze (z. B. homomorphe Verschlüsselung, Zero-Knowledge-Proofs) gelten als theoretisch interessant, aber in der Praxis aktuell noch nicht ausgereift oder effizient genug für breite Nutzung.
Praktische Maßnahmen für Nutzer
- Wo möglich: Open-Source-Messenger bevorzugen, deren Quellcode öffentlich überprüfbar ist.
- Dienste außerhalb der EU wählen (wenn die Regulierung nur für EU-Dienste gilt), allerdings mit Vorsicht bezüglich Datenzugang durch internationale Gesetzgebungen.
- Backups und Daten lokal verschlüsseln (nicht in Cloud‑Diensten, die kontrollierbar sind).
- Sensible Kommunikation auf Plattformen verlagern, die möglichst wenige Angriffsflächen bieten (z. B. Peer-to-Peer, Off‑the‑Record-Kommunikation).
- Politisch aktiv werden: Kontakt zu Abgeordneten, Teilnahme an Kampagnen wie „Fight Chat Control“.
Fazit: Abwägen zwischen Sicherheit, Kinderschutz und Grundrechten
Die geplante „Chat-Control“-Verordnung berührt einen Kernwiderspruch: Der legitime öffentliche Anspruch, Kinder vor sexuellem Missbrauch zu schützen, kollidiert mit dem fundamentalen Recht auf Privatsphäre und sicherer Kommunikation. Der große Knackpunkt ist nicht das Ziel – Kinderschutz ist unerlässlich – sondern die Art und Weise des Zugriffs und der Kontrolle.
Wenn der Scan von privaten Inhalten auf Geräten zur Pflicht wird, wird das Verschlüsselungsparadigma verändert. Die Gefahr, dass solche Systeme missbraucht, dehnt oder technisch manipuliert werden, ist real. Gleichzeitig besteht die Frage, ob technische Lösungen in jedem Fall zuverlässig sind: Kein System ist fehlerfrei, und besonders bei sensiblen Inhalten sind falsch-positive Erkennungen problematisch.
Was wir aktuell tun können: aufmerksam sein, die politischen Prozesse verfolgen, Lobbyarbeit unterstützen und bei der Auswahl unserer Kommunikationswerkzeuge vorausschauend agieren. Je stärker dezentrale, nutzerkontrollierte Systeme sind, desto schwerer wird es für eine Regulierung, sie zu unterwerfen – zumindest ohne gravierende technische und rechtliche Hindernisse.
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